Liebes Christkind

(Wunschzettel einer alten Frau)

 

Jetzt bin ich schon sehr alt und falle wahrscheinlich  mehr zur Last, als  ich Freude bereite. Die Leute meinen ich sei schon sehr vergesslich – es gibt auch einen Namen dafür – „Altersdemenz“ schimpft man das. Dennoch weiß ich liebes Christkind, dass es Dich gibt. Wenn du mich fragen würdest, was für ein Jahr oder Jahreszeit wir haben, ich würde es nicht wissen. Aber dass am Heiligabend das Christkind kommt, das weiß ich sehr wohl.

Wenn man so alt ist wie ich, hat man nicht viele Wünsche oder vielleicht doch. Zum Spielen brauche ich nichts, bin ja jetzt dreimal in der Woche in der Tagespflege, da unterhält man mich gut und es gefällt mir, obwohl ich zu Hause nicht mehr weiß, dass ich weg war. Zum Anziehen habe ich auch alles was ich brauche, wobei ich schon noch einen warmen Pullover, eine Strumpfhose und Stofftaschentücher gebrauchen könnte. Meine alten Stofftaschentücher habe ich alle verlegt, obwohl sie mir alles durchgesucht haben, sie finden sie einfach nicht mehr. Zum Essen habe ich auch immer genug. Nur wenn meine „Bezugspersonen“ außer Haus sind oder sich mal verspäten, würde ich verhungern. Keiner fühlt sich dann für mich zuständig.

Steht nicht in der Bibel Matthäus 18,3 „wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen…“. Ich bin auf dem besten Wege dazu. Ich wünsche mir eigentlich auch nur das, was sich im Grunde Kinder von einem Christkind wünschen. Warum schaffen es meine eigenen Kinder nicht, mir Mama zu sein. Ja, genau das wünsche ich mir liebes Christkind – eine Mama. Es muss ja nicht unbedingt eine Person sein, aber ich habe ja Kinder und Enkelkinder teils mit Familien und trotzdem bin ich so alleine und hilflos.

Als meine Bezugspersonen im Urlaub waren, musste ich in die Kurzzeitpflege, die „Anderen“ wollten mich nicht haben. Die ganzen drei Wochen hielt ich dort nicht aus, am dann ins Krankenhaus und wäre dann bald „hops“ gegangen. Gott sei Dank sind meine Leute bald wieder nach Hause gekommen und haben mich wieder mitgenommen. Im Altenheim und im Krankenhaus haben mich die Anderen regelmäßig besucht, gehört sich ja, zu Hause sieht es keiner.

Also, um nochmal auf Dich zu kommen, Unterhaltung habe ich reichlich in der Tagespflege. Ich wünsche mir eine „Mama“ zu Hause. Die mich aufweckt, mich wäscht, mich anzieht, mein „Pipi“ von der Nacht wegwischt, meine Sachen (die ich mal wieder verlegt habe) sucht, meine kleine Wohnung in „Schuss“ hält, mir Essen und Trinken gibt, mir meine Medizin eingibt, meine Wäsche wäscht, fast täglich das Bett frisch macht, für mich den ganzen Schreibkram erledigt, mich zum Arzt oder Friseur fährt, meinen Müll beseitigt, mich für die Tagespflege zurechtmacht, mich Abends wieder ins Bett bringt und und und.

Eine Mama, die mit mir mal ums Haus geht und die meine Fragen 5x beantwortet. Eine Mama, wie ich einmal hatte. Eine Mama, wie ich hoffentlich einmal war. Mit kurzen Besuchen zum Ratschen hat keiner mehr was von mir und ich auch nicht. Ich brauche Hilfe im alltäglichen Leben. Ich wünsche mir liebes Christkind, dass ich noch lange zu Hause in meiner Wohnung sein darf. Manchmal merke ich es, dass ich zur Last falle. Die Kräfte meiner Hilfen schwinden. Ohne die wäre ich schon lange nicht mehr zu Hause und wenn ich im Altenheim wäre, dann würde ich wahrscheinlich von oben herunterschauen. Aber hätte ich nicht genug Familie um mehr „Mamas“ zu haben?

Danke und dafür singe ich Dir wieder mal ein schönes Lied, denn das Singen habe ich noch nicht verlernt.

 

Deine „alte“ Frau

 



©Astrid Mayer

 

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